Beurteilung
Henry Rider Haggard gehört wie der mit ihm eng befreundete Rudyard Kipling zu den großen britischen Kolonialschriftstellern. Ein Grund für seinen Erfolg war die Erfindung des Serienhelden Allan Quatermain. Seine Bücher werden auch heute noch verlegt und wurden vielfach verfilmt.
So bedeutend Haggard für die englische Literatur war, so wenig konnte er in Deutschland Fuß fassen. Er stand auf der falschen Seite – in Deutschland galt die Sympathie der Leser nicht den englischen Kolonialherrn, sondern sie erfreuten sich an „der Buren Freiheitskampf“; britischer Imperialismus störte die Lust an den neuen deutschen Kolonien und der Schauplatz Afrika war zur Genüge abgedeckt durch einheimische Kolonialliteratur. Zudem war Haggard auch kein Freund der Deutschen, stachelte 1914 mit Brandreden die Engländer zum Krieg gegen Deutschland an und schilderte die deutschen Soldaten des ersten Weltkriegs als besonders unmenschlich und grausam.
In einem beinahe automatischen Schreibstil (automatic writing) brachte H. ein Buch nach dem andern auf den Markt.
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Die literarische Qualität hat von dieser Vielschreiberei nicht profitiert.
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Alle diese Romane [die Afrika-Romane – die „Allan Quatermain“-Reihe, die „She“-Reihe und die Zulu-Romane] basieren auf einer mitreißenden Handlungsfülle, mythisch fundierten Geheimnissen, einem geschickten Arrangement romantisierender Landschaftsschilderungen, heroisierender Personen- und Schlachtenszenen und Entlastung bringender Enträtselungsszenen.
Eckhard Breitinger: Haggard, Henry Rider · In: Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur · Ergänzungs- und Registerband. Weinheim—Basel, Beltz Verlag, 1984.
Ein strukturierendes Prinzip dieses Mythos [d. i. Mythos Empire] ist der Sozialdarwinismus. Er läßt die Ungleichheit in Gesellschaften und zwischen Nationen als gerechtfertigt erscheinen. Wer an der Spitze steht, ist durch den Mechanismus des ‚survival of the fittest‘ dorthin gelangt, sei er Individuum oder Nation, die Natur hat ihn dorthingestellt; der Daseinskampf erlaubt alle Mittel, auch den Krieg; es gibt Menschen und Rassen auf verschiedenen Stufen der Evolution, die Herrschaft der einen über die andern ist berechtigt, usw. Die beiden hier besprochenen Romane [Buchan: „Prester John“ und Haggard: „She“] legen die Richtigkeit solcher Gedankengänge nahe; mit ihrer Abwertung der natives, savages, barbarians tragen sie zur Verbreitung des Rassismus bei.
Sie transportieren die Mythos-Botschaft als spannende Unterhaltung, als Abenteuerromane.
[…]
So werden in Ihnen die Bedeutungszuweisungen des Mythos Empire gekleidet in den Schein von Wirklichkeit und überstrahlt vom Glanz des Abenteuers, der fahrende Held kann aus Gefahr und Fremde als Beute dem Leser herrschaftskonforme Empire-Interpretation überreichen.
Jens-Ulrich Davids: Die wilden Früchte des Empire · In:
Kevin Carpenter/Bernd Steinbrink: Ausbruch und Abenteuer · Ausstellungskatalog.
Oldenburg, Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, 1984
Mit der Darstellung einer Scheinrealität und den in ihr agierenden einfältigen Charakteren muß Haggard Vorurteile verwenden, um seine Handlung tragbar werden zu lassen. Das alles andere überschattende Ideologem, das seine Handlung trägt, ist die charakterliche und physische Überlegenheit der weißen Rasse und ihr davon abgeleiteter Herrschaftsanspruch. Für Haggard – wie für Kipling – war dieser Anspruch noch mit einer Verantwortung verbunden; das Verhältnis seiner Helden zu ihren Helfern und anderen Eingeborenen trägt deutlich feudale Züge. Zwischen den beiden Parteien bestand ein stillschweigender Vertrag, in dem von der Intention her beide profitierten: Der Feudalherr verpflichtet sich, seinen Hintersassen als Gegenleistung für ihre Dienste Schutz und Hilfe zu gewähren. Obwohl beide Teile zu dem Vertrag beisteuern, kann über die Rangfolge keine Unklarheit herrschen.
Wolfgang Crass: Untersuchungen zu Entwicklung, Struktur und Funktion des englischen „Action Thrillers“
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät
Marburg/Lahn, Philipps-Universität, 1976 |