Eine klare Definition gibt es nicht – der Begriff ist so ausufernd wie seine Inhalte. Alle Übergänge zu angrenzenden Gattungen sind fließend.
Die Unklarheiten noch verstärkend, kommt hinzu, dass die Begriffe, welche Grundlage der Definitionen zu sein hätten, fortschreitend informationsärmer werden. Die Sinnentleerung und zunehmende Beliebigkeit des Wortes »Abenteuer« sind deutlich seiner heutigen Benutzung zu entnehmen. Es gibt Abenteuerreisen, Abenteuerspielplätze, das Abenteuer Forschung – die Liste kann jeder endlos fortsetzen. Die Werbung suggeriert, dass das Rauchen von Zigaretten ein Abenteuer sei. Und für viele Menschen ist nicht nur ein Seitensprung ein Abenteuer, sondern auch die Ehe und womöglich das Leben insgesamt noch dazu.
Der Versuch, hier Grenzen mit Aussagekraft zu ziehen, muss noch weit innerhalb der Gattung ansetzen und dazu zwingend zusätzliche Kriterien einführen. Man muss sich darüber klar sein, daß jede vorgenommene Eingrenzung immer auch eine Ausgrenzung anderer Teile bedeutet.
Wer auch immer sich mit dieser Literatur beschäftigt – ob als Wissenschaftler oder als Sammler – steht vor diesem Problem.
Für die herrschende Verwirrung beispielhaft und aufschlussreich zitiere ich, was Andreas Graf, der Verfasser von zwei großartigen Arbeiten über Balduin Möllhausen in seinem Buch Abenteuer und Geheimnis. Die Romane Balduin Möllhausens. – Freiburg: Rombach Verlag, 1993. dazu gesagt hat. Ab Seite 16 schreibt er:
[…]Die vorliegende Arbeit[…]gebraucht zu genauerer Spezifikation der Romane[Möllhausens]den Terminus »ethnographischer Gesellschaftsroman«. Zweifellos sind Möllhausens Romane auch Abenteuerromane und auch Geheimnisromane; das Spezifikum der meisten Möllhausen-Romane – die Zweiteilung in einen in Amerika spielenden »Abenteuerteil« und einen in Deutschland spielenden »Geheimnisteil« und die daraus resultierenden strukturellen und inhaltlichen Konsequenzen werden aber von keiner dieser Bezeichnungen zureichend erfaßt. Erst ein Begriff, der Klotz’ Unterscheidung in »amerikanische« (z. B. Cooper) und »eurozentrische« (z. B. Sue) Abenteuerromane zusammenfaßt, würde Möllhausen gerecht. Mit dem Terminus »ethnographischer Gesellschaftsroman« wird dies versucht.
III.
Begriffsunsicherheit spricht bereits aus den Titeln der älteren und der neueren Forschung; deren Interesse hat sich, grob gesprochen, in den hundertzwanzig Jahren der Rezeption dieser Literatur vom »Exotischen« aufs »Abenteuerliche« verlagert. Zu den Werken identischer Autoren ist bei Banck (1866) von »transatlantischen Erzählungen«,[…]bei Ethè (1871) vom »transatlantisch-exotischen Roman«,[…]bei Mielke (1898) vom »transoceanischen Roman« […] die Rede, während Plischke (1951) vom »völkerkundlichen Reise- und Abenteuerroman«[…]und Sehm (1972) vom »ethnographischen Reise- und Abenteuerroman«[…]sprechen, Neuschäfer (1976) dagegen schlicht »Populärromane« und Klotz (1979), Märtin (1983) und Steinbrink (1983) »Abenteuerromane« in den Blick bekommen; Pleticha spricht in Bezug auf Möllhausen sogar von einer »gehobenen Kolportage«,[…]Klein (1982) rubriziert in einer neueren Literaturgeschichte unseren Autor unter »Kriminal- und Abenteuerliteratur«[…]und Reclams Kriminalromanführer (1978) präsentiert einen Möllhausen-Roman als »frühen Krimi«.[…]Ebensolche Unklarheit wie über die Gattungsbezeichnung herrscht bei der Auswahl der Autoren, um deren Werke es letztlich zu gehen hat. Zwar scheint sich in der neueren Forschung ein Konsens über eine kleine Auswahl von Schriftstellern herauszubilden, die sozusagen zum harten Kern der deutschen Abenteuerromanautoren gehören. Es handelt sich dabei um Charles Sealsfield (1793–1864), Friedrich Gerstäcker (1816–1872), Friedrich Strubberg alias »Armand« (1806–1889), Otto Ruppius (1819–1864), Balduin Möllhausen (1825–1905), Sophie Wörishöffer (1838–1890), und Karl May (1842–1912); Autoren, die auch Sehm seiner Untersuchung zugrunde legte. Steinbrinck[…]fügte diesem Kreis, gemäß seiner Intention, »Studien zu einer vernachlässigten Gattung« zu bringen, einige weitere Autoren hinzu: Friedrich Wilhelm Arming (1805–1864), der unter dem Pseudonym William Fitz-Berth veröffentlichte, Ernst von Bibra (1806–1878), Hermann Ottomar Friedrich Goedsche (1816–1878), der mit dem Pseudonym Sir John Retcliffe zu zweifelhaftem Ruhm gelangte, Robert Kraft (1869–1920), Theodor Mügge (1802–1861), Friedrich J. Pajeken (1855–1920), Johannes Scherr (1817–1886), Rudolf Scipio (1827–1901), unter dessen Pseudonym R. Waldheim die meisten seiner Romane erschienen, und Hans Wachenhusen (1822–1898).
Uneinigkeit herrscht auch und insbesondere über den Einbezug der ausländischen, vor allem der französischen Autoren. Einzig Klotz weist durch die vergleichende Bezugnahme auf Alexandre Dumas, Jules Verne, Eugène Sue (1804–1857) und Gabriel Ferry[…](1809–1851) auf den außerordentlichen Einfluß hin, den Sues »Les Mystères de Paris« (1842/43) auf die gesamte deutsche Unterhaltungsliteratur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Ferrys »Coureur de Bois« (1850) speziell auf die Abenteuerliteratur dieser Zeit hatten.[…]
Zu ergänzen wäre hier noch ein Fußnote auf Seite 16 des oben zitierten Buchs:
[…]Die Verwirrung geht auch neuerdings weiter: Im »Lexikon der Reise- und Abenteuerliteratur« (1988 ff.) findet sich zum Beispiel ein Artikel über Philipp Galen, der jedoch weder Reise- noch Abenteuerliteratur verfaßt hat.
In diesen Zusammenhang passt der Katalog von Hartung & Hartung in München für die 89. Auktion im Mai 1998, der einen Sonderteil über die Autoren Gerstäcker, Möllhausen und Sealsfield unter der Abteilungsüberschrift Auswanderungsliteratur des 19. Jh. enthält.
Auch Harald Fricke hat Probleme mit den Gattungen, wie nachfolgende Textpassage aus WIE TRIVIAL SIND WIEDERHOLUNGEN? Probleme der Gattungszuordnung von Karl Mays Reiseerzählungen. In: Z. Kreb / U. Baur (Hg.): Erzählgattungen der Trivialliteratur. Innsbruck 1984. S. 125–148. zeigt:
[…]Denn will man der Gefahr entgehen, mit leider üblicher terminologischer Unschärfe jede etwas längere Erzählung mit ‚spannenden‘ Aktionen gleich als Abenteuerroman zu bezeichnen, so wird man als wesentliches Merkmal der Gattung eine das ganze Werk durchziehende Folge gefahrvoller Ereignisse, die ‚Aventiurekette‘, ansehen können. Von der Odyssee über die meisten Artusepen und die Amadisromane bis zu Burroughs Tarzan-Bänden bleibt das Grundschema stets gleich: ein einzelner, gelegentlich von (ihm freilich niemals gleichrangigen) Gefährten begleiteter Held gerät in immer neue bedrohliche Situationen, von denen die Spielregel der Gattung verlangt, daß sie wenigstens teilweise lebensgefährlich sein müssen und dabei doch jedenfalls von der Hauptperson glücklich überstanden werden: mögen auch seine Gefährten ihr Leben lassen – der Held stirbt im Bett oder am Schreibtisch.
Um möglichst viele und möglichst verschiedenartige der stets von außen andringenden Abenteuer zu ermöglichen, findet das Ganze in der Regel auf einer (freiwilligen oder unfreiwilligen) Reise statt: zu Fuß vom Peloponnes nach Athen (wie Theseus), auf gepanzertem Pferd durchs gefahrenwimmelnde Artusland (wie die Ritter der Tafelrunde), mit dem Flugzeug über Berge und Wüsten (wie die Helden Saint-Exupérys) oder mit den verschiedensten Fahrzeugen in 80 Tagen um die Erde (wie Phileas Fogg). Dominierend als abenteuerspendendes Fortbewegungsmittel aber ist von den Argonauten und Sindbad dem Seefahrer bis zu Herman Melville und Joseph Conrad das Schiff; das hängt mit der historisch dauerhaften (und sachlich naheliegenden) Symbiose von exotischem und Abenteuerroman zusammen, die sich in Herzog Ernsts orientalischen Erlebnissen vor Kreuzzugshintergrund ebenso verwirklicht wie in den Indianerromanen der Cooper, Ferry, Sealsfield, Gerstäcker und Möllhausen und wie noch in der Science Fiction der Gegenwart, die angesichts einer geographisch restlos erfaßten und für Abenteuer alter Schule kaum noch ergiebigen Erde ihre Abenteuer in ‚extraterrestrischer‘ Exotik stattfinden läßt.
Jedes einzelne Glied der Aventiurekette hat dabei dieselbe typische Struktur: plötzliches Auftauchen einer Gefahr (Spannungsaufbau) – aktives Bekämpfen der Gefahr (Spannungshöhepunkt) – überwinden der Gefahr (Entspannung). Die Quellen der tödlichen Gefahren lassen sich fast durchweg auf drei Grundmotive reduzieren: Naturgewalten, wilde Tiere und böse Feinde. Diese Feinde erscheinen zur Erhöhung des Wagnisses zumeist als der ‚Papierform‘ nach übermächtig: durch Überzahl (die Standardsituation in der germanischen Heldenepik), durch Körpergröße und rohe Kraft (der Kyklop Polyphem ist nur der erste in einer langen Reihe gattungsspezifischer Riesen, und auch einäugige Bösewichte folgen ihm noch in erklecklicher Zahl), durch körperliche Ausstattung (die mädchenräubernden Kranichmänner im Herzog Ernst etwa setzen außer ihren Waffen auch noch ihre tödlich zustoßenden Schnäbel ein), durch magische Kräfte (z. B. des Zauberers Arcalaus im Amadis) oder einfach durch überlegene Waffen (der spießbewehrte Parzival vor dem hochgerüsteten Ither – vielleicht die klarste all dieser Ausprägungen der Konstellation von David und Goliath). Mythische übermacht ist auch beim Kampf mit wilden Tieren im Spiel, von der neunköpfigen Hydra und den eisengefiederten Harpyen der Antike über die Drachen und Greifen des Mittelalters bis zu den mutierten Rieseninsekten, Monstern und Grubenhunden in der Horror-Abteilung des Science Fiction-Romans; und selbst in der Kategorie realistischer Abenteuergeschichten, in denen wir noch ans Biologiebuch glauben dürfen und uns mit Coopers Bären, Kiplings Tigern und Jack Londons Wölfen bescheiden müssen, begegnet uns ein geheimnisvoller weißer Wal, dessen anthropomorphe Individualisierung sich schon in dem sehr menschlichen Namen Moby Dick andeutet. Dagegen ist in der literarhistorischen Entwicklung bedrohlicher Naturgewalten die Entmythologisierung der Abenteuerwelt deutlich abzulesen: hat Odysseus noch mit den widrigen Stürmen des Windgottes Aiolos persönlich und mit dem von Poseidon selbst vor Zorn aufgewühlten Meer zu kämpfen, und haben auch die Argonauten mit den zusammenschellenden Symplegaden und Herzog Ernst (wie schon Sindbad) mit dem Magnetberg übernatürliche Hindernisse zu überwinden, so reduziert sich das in der Neuzeit auf eine Unzahl ganz natürlicher Schiffbrüche (mit obligater Robinsonade) sowie auf Erdbeben, Vulkanausbrüche, Wüstensand und Packeis (im 20. Jahrhundert besonders bei Hammond Innes); im Science Fiction-Roman schließlich werden diese Ereignisse dann vollends von nach Art einer Naturkatastrophe eintretenden technischen Defekten abgelöst.[…]
Vielleicht gewinnen wir hier auch ein Indiz für die Beantwortung unserer Frage, welche Gattungsbezeichnung man für Mays Werke wählen soll. Daß naheliegende Etikette wie „Abenteuerroman“, „Exotischer Roman“, „Detektivroman“, „Reiseroman“ (Verlagstitel 1890–96) oder „Reiseerzählung“ (Verlagstitel seit 1896) die Sache nicht recht treffen, ist im Verlauf unserer Analyse wohl deutlich geworden; und es wird von kompetenter Seite bestätigt. Denn nichts von alledem wird jemals ein Junge vor Weihnachten auf seinen Wunschzettel schreiben; sonst bekäme er ja womöglich einen Sealsfield, Sven Hedin oder Hammond Innes und müßte sie noch vor Neujahr wieder umtauschen. Nein, er wird sich unmißverständlich und unverwechselbar „Karl-May-Bücher“ wünschen. Und die hier durchgeführte literaturwissenschaftliche Untersuchung darüber, wie Mays Old Surehand gemacht ist, legt es nahe, sich zu diesem naiven Glauben an die individuelle Besonderheit Karl Mays zu bekehren und als einzig adäquate Gattungsbezeichnung „Karl-May-Buch“ zu verwenden. Hinreichend gefüllt ist das Genre gewiß: während es bei anderen Gattungen (wie ‚Groteske‘ oder ‚Monodrama‘) oft gar nicht leicht ist, ohne wissenschaftliche Skrupel mehr als eine Handvoll eindeutiger Beispiele anzuführen, kann man hier jedenfalls sicher sein, wenigstens 74 einwandfreie Vertreter der Gattung „Karl-May-Buch“ vorzufinden.[…]
Nach so viel Durcheinander noch einige Zitate, um das Bild abzurunden:
1. LEXIKON DER KINDER- UND JUGENDLITERATUR. ERSTER BAND: A–H. – WEINHEIM UND BASEL: BELTZ VERLAG. 1984.
Unter dem Stichwort Abenteuerbuch ist zu lesen:
[…]A. HÖLDER unterscheidet z. B. nach ‚Erlebnisgruppen‘ wie Jagdabenteuer, Seeabenteuer, Indianerabenteuer, Kriegsabenteuer, Forscher- und Reiseabenteuer, Detektivabenteuer, technisch-utopische Abenteuer. H. PLETICHA spricht dazu vom Abenteuer im historischen Jugendbuch. Der Begriff Abenteuer ist aus dem vulgärlat. Wort adventura (mhd. adventiure, franz. aventure) hervorgegangen, das so viel wie unerwartetes oder stets ungewöhnliches, seltsames Ereignis mit unsicherem Ausgang (Wagnis) bedeutet. A.er sind durch Handlungsreichtum, Ereignis-(Abenteuer)-Reihung und durch die spannende Darstellung von Gefahrensituationen und ihre überwindung gekennzeichnet. Im Mittelpunkt des A.s , das seinen Schauplatz in der Regel in geographische, zeitliche oder soziale Ferne verlagert, steht der Held, der sich mit Hilfe seiner überragenden Eigenschaften (Geistesgegenwart, Klugheit, Spürsinn, Kaltblütigkeit u. a.) bewährt, oft heimat- und bindungslos ist und ‚ewige‘ Jugend ausstrahlt.[…]
2. HARALD EGGEBRECHT: SINNLICHKEIT UND ABENTEUER. DIE ENTSTEHUNG DES ABENTEUERROMANS IM 19. JAHRHUNDERT. – BERLIN / MARBURG: GUTTANDIN UND HOPPE, 1985.
[…]Das Abenteuer als »philosophische« Praxis, als Gesellschaftskritik, als phantastische Utopie, dargestellt am zentralen Aspekt der fünf Sinne, von denen ich meine, daß ihre Anwendung, ihre entfaltete »Sinnlichkeit« das Abenteuer der Lederstrumpf, Old Shatterhand oder Assowaum konstituieren. Hat man erst einmal sein Augenmerk auf die Seh-, Hör-, Tast-, Geruchs- und Geschmacksaktionen gerichtet, entdeckt man ihre die ganzen Romane bestimmende Kraft und Wichtigkeit. Diese Literatur erzählt von nichts anderem als von den Abenteuern der fünf Sinne, wie sie nur im Abenteuer zu ihrer höchsten, Sein und Bewußtsein verschmelzenden Bedeutung gelangen. Zugleich signalisiert diese totale Sinnlichkeit die Destruktion psycho-physischer Einheit in der fortschreitenden kapitalistischen Gesellschaft. Sie opponiert der Fragmentierung des Menschen und der Natur. Spätestens seit dem Schlagwort von den »Grenzen des Wachstums« kann jeder wissen, daß die Zerstörung der allgemeinen Lebensgrundlagen durch Gift, Ausbeutung, Zerstückelung, Verschmutzung und Vernichtung bedrohlich nähergerückt ist. Mag der Gedanke, daß im Abenteuerroman des 19. Jahrhunderts schon einiges aus den Anfängen dieses Schreckensprozesses erzählt wird, – eines Prozesses, dem die Abenteuerprotagonisten ihre zwar eskapistische, nichts desto trotz aber anklagende und rebellische Praxis entgegensetzten, die Praxis einer entfalteten Sinnlichkeit der fünf Sinne, bei der psycho-physische Einheit erreicht wird oder werden kann –, mag dieser Gedanke vielleicht als überzogen erscheinen, so erhält er zumindest jene Spur, die mich in das Dickicht jener zur sogenannten Jugendlektüre degradierten Literatur führte, um in der dort beschriebenen Sinnlichkeit die revolutionäre Kraft zu entdecken, die Bloch im Kolportagetraum verwahrt sah. –[…]
3. VOLKER KLOTZ. ABENTEUER-ROMANE. SUE – DUMAS – FERRY – RETCLIFFE – MAY – VERNE. – MÜNCHEN: CARL HANSER VERLAG, 1979.
[…]Minder klar ist bislang der literaturgeschichtliche Zusammenhang der neuen AR (= Abenteuerromane) im 19. Jahrhundert geblieben. Es war zwar[…]davon die Rede, daß zur gleichen Zeit wie die jeweiligen AR auch die anspruchsvolleren psychologischen Romane (PR) sich mit den gleichen Bedrängnissen herumgeschlagen haben. Doch es bleibt die Frage, wie denn die einen zu den anderen stehen und wie sie nebeneinander gedeihen konnten. Zunächst will es scheinen, als lägen da zwei Sorten von Literatur vor, die nichts miteinander zu tun haben. Die Autoren der PR schreiben anders als die der AR. Sie formulieren andere Weltbilder. Sie haben eine andere Leserschaft im Sinn. Sie entwickeln allmählich und skrupulös einmalige und unverwechselbare Bücher, die sie bis ins letzte ausfeilen, während die AR-Autoren bedenkenlos in den Tag hinein die Massenpresse mit ihren Erzählhappen beliefern.
Die Unterschiede sind also beträchtlich.[…]Trotzdem fällt auf, daß da wie dort aus der Fülle allgemeiner und persönlicher Erfahrungen durchweg die nämlichen als entscheidend empfunden werden. Denn sie sind, da wie dort, immer wieder durcherzählt worden. Allerdings auf umgekehrte Weise. Was die PR und ihre Helden beklemmt, bringt die AR und ihre Helden in Schwung. Genau diese umgekehrte Verarbeitung der gleichen Erfahrungen ist bemerkenswert. Dem heutigen Rückblick gibt sie zu erkennen, was damals den schreibenden und lesenden Zeitgenossen schwerlich bewußt war: daß PR und AR, jenseits aller Absicht, komplementär zueinander stehen. Der eine besetzt eine Stelle und entspricht einer Nachfrage, die der andere aufschlägt. Während sich der eine zunehmend auf verinnerlichte Vergeblichkeitsgefechte handlungsbehinderter Außenseiter verlegt, hält sich der andere an handfeste Aktionen von Übermenschen, die der Umwelt ihren Stempel aufdrücken.[…]
Und zuletzt
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Abenteuerroman, realistisch-volkstümliche Spezialform des Romans, die sich durch Stofffülle und Spannung auszeichnet und in der zumeist ein auf Reisen befindlicher Protagonist in eine Kette von Ereignissen verwickelt wird. Im Mittelalter entsprachen die Spielmannsdichtungen, die Ritterromane und die Volksbücher diesem Schema, später die Schelmenromane in der Nachfolge von Miguel de Cervantes’ Don Quijote, die Aventiureromane etwa eines Nicolaas Heinsius und die Robinsonaden im Anschluss an Daniel Defoes Robinson Crusoe. Im 18. Jahrhundert fächerte sich das Genre in Lügenromane, Reiseromane, Räuber- und Schauerromane auf. Im Künstlerroman, Entwicklungs- oder Bildungsroman von Klassik und Romantik erscheint das abenteuerliche Element zum geistigen Entwicklungsprozess des Helden sublimiert, so bei Johann Wolfgang von Goethe (Wilhelm Meister) oder Joseph Eichendorff (Aus dem Leben eines Taugenichts).
Der Abenteuerroman des 19. Jahrhunderts zeichnet sich durch historisierendes Kolorit, psychologische Vertiefung und neue Stoffe aus (Amerika- und Expeditionsroman etc.), bisweilen auch durch zeitkritische Tendenz. Auch entstehen zunehmend für ein jugendliches Publikum konzipierte Produkte (Jugendromane). Das wohl bekannteste Beispiel eines historisierenden Abenteuerromans im 19. Jahrhundert ist Alexandre Dumas’ Die drei Musketiere.
Auf ethnographischen und geographischen Studien beruhen die in vielen Fortsetzungen und hohen Auflagen erschienenen Abenteuerromane von Karl May. Weitere bedeutende Verfasser von Abenteuerromanen waren James Fenimore Cooper, Joseph Conrad, Herman Melville, Mark Twain, B. Traven, Bernhard Kellermann, Knut Hamsun und (in stark ironisierter, sozialkritischer Form) Günter Grass. Heute finden sich viele der gattungsspezifischen Handlungsschemata in der Fantasy-Literatur, in der Sciencefiction- und in der Trivialliteratur.